Rudolf Schmalzl - Totentanz in acht Ölgemälden

Der Totentanz in der Seelenkapelle auf dem Friedhof der Expositurkirche St. Ägidius in Zenching, besteht aus acht Ölgemälden, die ihrerseits mit linearen Wandmalereien gerahmt und durch je eine zweizeilige Bildunterschrift kommentiert werden. Signiert und 1908 datiert hat die Folge Rudolf Schmalzl.

Erste berufliche Erfahrungen sammelte der junge Mann in der väterlichen Maler- und Vergolderwerkstatt in Falkenstein im Bayerischen Wald. Seit 1906 besuchte er die städtische Malschule in München. Zwei Jahre später wechselte er als Schüler Martin von Feuersteins an die Akademie der Bildenden Künste ebendort, gerade als der Totentanz und die Deckenmalerein im Beinhaus von Zenching fertig geworden sein dürfte.

Als Vorlage dienten Darstellungen, die damals nur noch unvollständig erkennbar waren. In der 1894 verfassten Ortchronik heißt es im Kapitel über den 1934 verstorbenen Pfarrer Josef Salbeck: "Der Totentanz im Seelenhaus wurde (statt des verblassten alten) durch Kunstmaler Schmalzl=Falkenstein, neu gemalt, freilich stark modernisiert.

Heute sieht der Besucher die Kapelle von links nach rechts, das heißt im Uhrzeigersinn, zuerst die Tänzerin, dann den Greis, das Kind, den Pfarrer, den König, den Familienvater, den Bauer und die Sünderin. Auf den ersten Blick ergibt die Reihenfolge keinen Sinn, Legt man jedoch die Nähe zum Altar als Ordnungskriterium zugrunde, wird deutlich, dass die ranghöchsten Personen die Bilderfolge "anführen", während sich die minder angesehenen Gestalten bei der Ausgangstür befinden.

Der Totentanz in Zenching ist eine orginelle Erfindung, die ihresgleichen sucht: Auf kleinstem Raum sind Vertreter kirchlicher und weltlicher Macht, alle Lebensalter, Unschuld und Laster versammelt. Darüber hinaus verzichtet Rudolf Schmalzl beziehungsweise der namentlichen  nicht bekannte Texter auf die klassische Dialog-Struktur, mehr noch, er lässt  nicht zwingend den Tod zu Wort kommen: Viermal spricht der Sterbende, viermal der Knochenmann, allerdings nicht im regelmäßigen Wechsel.

Inwieweit sich die Darstellungen auf den Vorgänger-Totentanz in der Zenchinger Friedhofskapelle beziehen, ist unbekannt. Mehrere Personen wollen Reste von Wandmalereien unter den Gemälden gesehen haben, niemand macht genauere Angaben. Nur eine Szene -  der Tod und Pfarrer- ist eine Kopie nach dem Totentanz auf dem Alten Freiburger Friedhof. Zu prüfen bleibt, ob es Parallelen gibt zu den Bildern von Rudolf Schmalzls Onkel Frater Max. Einflüsse seines akademischen Lehrers Martin Ritter von Feuerstein würde ich ausschließen, weil die Immatrikulation in den dessen Zeichenschule erst am 4. November 1908 stattfand, einem Termin, an dem die Arbeit in Zenching höchstwahrscheinlich bereits abgeschlossen war.

Dr. Uli Wunderlich (Bamberg)

Nun haben wir solang getanzt bis mich der Tod hat eingeschanzt


Das erste Gemälde stellt einen bürgerlichen Saal dar, in dem zwei Musikanten vier Paaren zum Tanz aufspielen. Rechts hinten steht ein Geiger auf einer Bank. Neben ihm greift ein Kollege sitzend in die Tasten seines Akkordeons, während im Vordergrund der Knochenmann in schwarzer Kutte eine junge Frau im roten Kleid um ihre Achse dreht. Ihr Gesicht verrät keine Erregung, wenn sie spricht: Nun haben wir solang getanzt, bist mich der Tod hat eingeschanzt. Der Rest der Gesellschaft scheint nicht zu ahnen, welche Folgen das Vergnügen haben kann. Dabei ist der Tanz der Kirche wie den sittenstrengen Bürgern seit Jahrhunderten ein Dorn im Auge. Galt er doch gleichermaßen als Gefährdung der öffentlichen Ordnung wie der Gesundheit, da er angeblich der Unkeuschheit Vorschub leistete und vielfach mit Ruhestörung beziehungsweise Verstößen gegen das 10. Gebot einherging.

Bis hierher und nicht weiter Du guter alter Streiter


Im zweiten Bild steht ein ordentlich gekleideter Greis auf einem Wanderweg. Er hat die Hände in den Hosentaschen vergraben und senkt traurig den Kopf, während ihm der Tod den Arm um die Schultern legt und mit der freien Hand ins Dunkel weist. Der Satz Bis hierher und nicht weiter, du guter alter Streiter bezieht sich ebenso wie der am Boden liegende Zylinder auf den Wasserlauf im Vordergrund. Schmalzl spielt damit auf den Grenzfluss an, der in der griechischen Mythologie die Welt der Lebenden von jener der Toten scheidet. Dementsprechend trennt das Bächlein das Bild in eine helle Zone links und Finsternis rechts.

Wärst du mir nicht wert und lieb, so gäb ich Dir nicht diesen Hieb


Im Zentrum des dritten Bildes steht ein weißgeflügelter Engel, welcher die Augen nach oben erhebt, während er mit der Linken ein blau verschnürtes Wiegenkind präsentiert. Der Sensenmann verharrt nur scheinbar reglos am Rande. Er betrachtet das Baby und kündigt einen Hieb an, den er als Liebestat und Zeichen der Wertschätzung interpretiert: Wärst du mir nicht wert und lieb, so gäb ich dir nicht diesen Hieb. Eltern und Geschwister sollen im frühen Tod demnach einen Gnadenbeweis sehen, da unschuldige Seelen direkt in den Himmel kommen, wo ihnen jedes Leid erspart bleibt. Das besagen übrigens auch die seinerzeit äußerst populären Schutzengeldrucke, welche die Himmelfahrt Jungverstorbener andeuten. In Totentänzen kommen derartige Szenen dagegen nur selten vor.

Die schwarze Meß les ich für Dich. Die Hilf davon hoff ich für mich


Das Bild links neben dem Altar, also an prominenter Stelle in unmittelbarer Nähe des Allerheiligsten, stellt den Sensenmann als Zuschauer einer Zeremonie dar, für die der Geistliche und sein Ministrant in Schwarzweiß gekleidet sind. Ansonsten ist das Szenario realistisch, zumal Schmalzl sinngemäß die Gegebenheiten vor Ort wiedergibt, nämlich einen Marienaltar wie in der Friedhofskapelle in Zenching. Fragen werfen vor allem die zugehörigen Verse auf: Die schwarze Meß les ich für dich, die Hilf davon hoff ich für mich. Gemeint ist hier keineswegs gotteslästerlicher Teufelskult, sonder ein Totenamt. Der Priester spricht mit dem Verstorbenen, dessen Verweildauer im Fegefeuer er durch das Messlesen verkürzt, und sorgt zugleich für sein eigenes Seelenheil. Wer glaubt, Wort und Bild kritisieren den Eigennutz der Geistlichkeit, irrt. Sie führen dem Betrachter vor Augen, dass Geben und Nehmen die Verbindung zwischen Diesseits und Jenseits regeln. Der Text stimmt mit dem Totentanz in der Vorhalle der Michaelkapelle auf dem Alten Friedhof in Freiburg überein, die Darstellung aber nur bedingt. Meines Erachtens lässt diese Tatsache den Rückschluss zu, dass es sich bei der in der Zenchinger Kirchenchronik als "verblasst" erwähnten Wandmalerei um eine Kopie der barocken Breisgauer Bilderfolge handelt. Rudolf Schmalzl knüpfte 1908 sehr wahrscheinlich an die Elemente an, die er noch erkennen konnte, und ergänzte den Rest nach eigener Vorstellung.

Hoch oben von dem Throne hol ich mir Deine Krone


Rechts neben dem Altar stellt Rudolf Schmalzl einen König auf dem Thron dar, dessen isolierte Stellung in phantastischer Umgebung enbenso wie seine Haartracht und die Kleidung nach archaischer Mode an Ludwig II. von Bayern erinnern. Er hat das Schwert auf seinen Schenkeln abgelegt und hält in der Linken statt des Reichsapfels einen Schädel. So erinnert die Szene eher an William Shakespeares Hamlet-Drama als an einen Totentanz. Der Knochenmann kommt dann allerdings in der Bildunterschrift zu Wort: Hoch oben auf dem Throne, hol ich mir deine Krone.
 

So hilft doch keine Bitt, muß ich fort aus eurer Mitt?


In der sechsten Szene hat sich eine Familie rund um den Tisch im Herrgottswinkel zum Gebet versammelt. Während der Knochenmann das Stundenglas zum Fenster hereinstreckt, lauschen die Mutter und drei minderjährige Kinder den Worten des Vaters: So hilft doch keine Bitt, muß ich fort aus eurer Mitt?. Das Bild berührt durch die Kargheit und Sittenstrenge, denn die Frauen sind schlicht gekleidet und falten stehend ihre Hände. Der Sohn darf dagegen vor der gefüllten Schüssel sitzen. Er wird der Ernährer seiner Geschwister und somit auch der erste Esser sein. Rudolf Schmalzl emanzipiert sich in seinem Gemälde weitestgehend von den berühmten Tischgebets-Darstellungen, indem er Brauchtum und Geschlechtrollen im Bayerischen Wald schildert. Jedenfalls fallen die Bilder Franz von Defreggers, Max Liebermanns oder Fritz von Uhdes weit fröhlicher aus. Erst der Tiroler Albin Egger-Lienz wird ihn Jahre später in punkto Tristesse übertreffen.

Halt ackere keine Spanne weit komm mit mir zur Ewigkeit


Der pflügende Bauer ist die Szene im Zenchinger Totentanz, die deutlicher als alle übrigen auf eine Vorlage zurückzugehen scheint. Hans Holbein der Jüngere hat das Motiv um 1524/26 in Basel entworfen, das bis in die Gegenwart von Künstlern kopiert wird. Während der Knochenmann im Original mit der Peitsche neben den Pferden herläuft, setzt er der Feldarbeit nun ein Ende: Halt ackere keine Spanne weit, komm mit mir zur Ewigkeit. Das bedeutet, höre sofort auf, denn die "Spanne" ist ein Längenmaß, das sich vom Abstand zwischen Daumen- und Kleinfingerspitze der gespreizten Hand ableitet. Neu und aus keiner mir bekannten Folge ableitbar ist der große Vogel, der dem Landmann folgt. Gemeint ist hier entweder die auf frisch gepflügten Äckern anzutreffende Saatkrähe oder ein Rabe, der traditionell als Todesbote gilt. Darüber hinaus symbolisiert diese Tier Geräuschlosigkeit und Plötzlichkeit, kurz die Unvorhersehbarkeit der Sterbestunde.

Weg Tod, weg Feind von Anbeginn ich bin noch eine Sünderin


Im letzten Bild sieht man nicht den aus der mittelalterlichen Ars moriendi bekannten Kampf himmlischer und höllischer Mächte um eine Seele. Der Knochenmann wartet neben dem Bett der Frau stehend ab, dass der Sand durch das Stundenglas rieselt; der Teufel sitzt am Fußende und vertreibt sich lesend die Zeit. Ausschalggebend zum Verständnis ist der Text: Weg Tod, weg Feind von Anbeginn, ich bin noch eine Sünderin. Die Frau hofft ganz offensichtlich auf den Pfarrer, der ihr das Sterbesakrament erteilen und sie von Sünden freisprechen soll. Und sie hat schwere Schuld auf sich geladen, denn als ledige Mutter des neben ihr liegenden Kindes muss sie ohne familiären oder nachbarschaftlichen Beistand dem Ende harren. Jedenfalls legen die Sterbeszenentradition und die Schlussposition in der Bilderfolge diese Deutung nahe. Die Dominanz des Teufels im Vordergrund bedeutet darüber hinaus an, dass die Sache schlecht ausgehen wird.